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„Da springt bei vielen die Kommune-Glocke an“ – Interview zu der Gründung eines sozial-ökologischen Projektes in Plön

Text: Insa Olshausen – Bilder: Wandelwerke e.V.

Dezember 2019. Ich bin auf dem Weg nach Nortorf, um dort mit Mona Kraus zu sprechen, einer der Initiator*innen des Vereins Wandelwerke e.V.. Der Verein entstand 2017 in Freiburg mit dem Ziel, ein Gelände im ländlichen Raum zu erwerben, um dort anschließend ein Wohnprojekt zu gründen. 

Der Zug gleitet durch die flache norddeutsche Landschaft. Draußen Windräder, Seen, Felder, alles in allerliebster winterlicher Tristesse. Hier in der Nähe, auf dem Gelände des ehemaligen Freizeitheims Seehof in Plön, soll das bunte sozial-ökologische Projekt entstehen. Ein Raum, in dem mit Lösungen experimentiert werden kann – Lösungen für Herausforderungen wie Landflucht, dem demografischen Wandel und der Klimakrise. Die Vision des Vereins ist ein Ort im Grünen, an dem Menschen gemeinsam wohnen, leben und arbeiten. Es soll ein „selbstverwalteter Wohnraum für bis zu 100 Menschen geschaffen werden, ein Seminarbetrieb für verschiedenste Bildungsarbeit, ökologische Landwirtschaft, eine Tiny-House Modellsiedlung und verschiedene Arbeits- und Projektorte“, so  schreibt es der Verein in seinem Konzept. Aktuell laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Mit Mona möchte ich über die Frage sprechen: Wie entsteht eigentlich so ein innovatives Projekt, trotz und gerade wegen all den Hürden, die es bei der Verwirklichung zu überwinden gilt? 

Mona bei einem der Vorbereitungsseminare, Foto: Wandelwerke e.V.
Wie kam es eigentlich zu der Idee, das Projekt zu gründen?

Die Idee ist in einem WG-Urlaub mit unserer Freiburger WG entstanden. Wir waren eine große WG mit neun Leuten. In einem Urlaub haben wir verschiedene andere Gemeinschaften besucht, zum Beispiel das „Uferwerk“ in Berlin. Dabei wurde klar: Eigentlich wollen wir alle so leben. Wir hatten aber auch an jedem der Projekte ein bisschen was auszusetzen und haben gemerkt: Am liebsten wollen wir selber eins gründen. 

Welchen Hürden seid ihr auf eurem Weg begegnet?

Die erste Hürde war die Ortsfindung. Es war klar: Wir haben eine Vision, die Projektidee steht und jetzt muss der Ort dafür her. Wegen der Immobilienpreise im Raum Freiburg hatten wir dort keine Chance, deshalb haben wir die Suche ausgeweitet. Richtig schwierig wurde es in dem Moment, als wir den Ort gefunden haben. In unserem Fall der Seehof in Plön, in denen sich manche total verliebt haben. Für andere war das die vollkommen falsche Region Deutschlands. Es ist aber auch der Klassiker, dass in dem Moment, in dem ein Ort tatsächlich in Frage kommt, Gruppen zerbrechen. Im Schnitt gehen nur 30 Prozent der Gruppenmitglieder dann wirklich an diesen Ort. Die Frage war: Suchen wir jetzt ewig weiter, oder gehen wir erstmal als Gruppe auseinander. Das war eine sehr schwierige Entscheidung.  

Hier werden einige der Mitglieder des Vereins in Zukunft wohnen. Foto: Wandelwerke e.V.

Die nächste Hürde war, hier in Schleswig-Holstein eine neue Gruppe zu bilden. Wir sind eigentlich schon eine bestehende Gruppe, die schon eine Vision hat, und jetzt kommen ganz viele Menschen dazu. Das hat unglaublich viel Potential, wir konnten uns kaum mehr retten vor Anfragen – der Ort ist auch einfach so genial – aber das ist aktuell die größte Hürde: Uns gut zu strukturieren und die verschiedenen Bedürfnisse von 40 Menschen, die sich erstmal gar nicht kennen, zusammenzubekommen, ohne dass die ursprüngliche Vision verloren geht. Und außerdem die Flächenplannutzungsänderung, bei der sich herausgestellt hat, dass das Projekt von der bürokratischen, baurechtlichen Seite her sehr viel herausfordernder und zeitintensiver ist als gehofft. 

Die zukünftigen Bewohner*innen des Seehofs, Foto: Wandelwerke e.V.
Wie überwindet ihr die Hürden? Welche Strategien haben sich für euch bewährt?

Auf jeden Fall: Sich Beratung zu holen von schon bestehenden Projekten! Die meisten der Probleme hatten andere Gemeinschaften auch schon. Man muss das Rad nicht neu erfinden, sondern kann von anderen lernen. Da haben wir viele gute Tipps bekommen. Allein das Wissen darum, dass bestimmte Dinge fast immer passieren, dass bei der Ortsfrage üblicherweise nur 30 Prozent der Gruppenmitglieder mitgehen. Das hat uns sehr motiviert, das Ganze trotzdem zu machen. 

Für die Gruppentrennung war außerdem eine gute emotionale Arbeit wichtig. Das war wirklich viel Arbeit und hatte den Erfolg, dass wir nach wie vor ein enger Freundeskreis geblieben und nicht im Streit auseinander gegangen sind. 

Worin siehst du das größte Potential von eurem Projekt?

Das Besondere an unserem Projekt ist, dass es ganzheitlich angelegt ist und viele verschiedene Lebensbereiche verbindet. Es ist eben nicht ein reines Wohnprojekt. Uns ist auch der Bereich des Arbeitens und der Ökologie sehr wichtig, dadurch können viele Synergien entstehen. Allein aus ökologischer Perspektive, wenn man zum Beispiel an Kreislaufwirtschaft denkt. Ein anderes Beispiel sind die geplanten Repairwerkstätten, oder dass man sich viele Güter in der Gemeinschaft teilt.

Lageplan, Grafik: Wandelwerke e.V.
Was sind potentielle Nachteile des Projekts für die Menschen in der Umgebung? 

Es gibt viele Ängste und auch Vorurteile. Allein diese Vorstellung: Da wohnen mehrere Menschen zusammen, die nicht blutsverwandt sind – da springt dann bei vielen die Kommune-Glocke an. Ich weiß nicht genau, welche Bilder und Vorstellungen die Leute dann im Kopf haben. Eine Sorge der Anwohner*innen ist auch, dass auf der Zufahrt zum Gelände viel Verkehr aufkommt. Auf der anderen Seite war auf dem Gelände vorher auch der Seminarbetrieb, zu dem große Reisebusse angefahren sind. Wir haben im Gegensatz dazu vor, Carsharing und einen Minibus Shuttle einzurichten und E-Bikes zu verwenden.

Woher nimmst du deine Motivation und deine Energie, um so ein großes Projekt anzugehen? 

Es ist einmal ein Weltschmerz, der mich und ich glaube viele von uns, schon länger begleitet. Es ist der Versuch aus einer Anti-Haltung in eine produktive, konstruktive Haltung zu kommen. Neben dem ganzen Mist, der in der Welt passiert, zu schauen, welche Möglichkeiten es für Transformation gibt. Also nicht: Was müssen wir verhindern, damit es nicht noch schlimmer wird? Sondern: Wo können Keimzellen entstehen für etwas Neues? Wo kann man etwas ganz anders denken?

Eine große Inspiration für mich persönlich sind demokratische Schulen, in denen ich lange Praktika gemacht und als Honorarkraft gearbeitet habe. Das sind Schulen, in denen Kinder sich komplett selbst organisieren und selbst entscheiden, was sie lernen. Es hat mich total fasziniert, wie es möglich ist, dass Kinder lernen, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und ihr Umfeld so zu gestalten, wie es zu ihren Bedürfnissen passt. Und, dass die das hinbekommen! Da habe ich mich gefragt: Wow, warum fällt uns das so schwer? Warum kriegen wir das nicht auch gebacken? Diese Schulen sind ja auch Mini-Gemeinschaften oder kleine Gesellschaften, wo all die großen Fragen eine Rolle spielen, aber die man dann im Kleinen konstruktiv gelöst bekommt, und das schon von Kindern. 

Das Gelände liegt direkt am Plöner See. Foto: Wandelwerke e.V.
Was hast du trotzdem gemacht, obwohl alles dagegen gesprochen hat? 

Unser größtes trotzdem war überhaupt am Ball geblieben zu sein. Vor allem als es hieß, es gibt einen Tourismus-Investor  – allein der Begriff klingt schon so abschreckend, da haben wir gesagt: Wir bleiben trotzdem am Ball. Das hat sich gelohnt, denn dann ist der Investor abgesprungen. 

Mein persönliches trotzdem ist der Umzug nach Schleswig-Holstein. Das war durchaus ein bisschen naiv, alle haben gesagt: Du kannst doch nicht wegen dieser vagen Idee, diesem Projekt  – so teuer, wie wollt ihr überhaupt das Geld zusammenbekommen? – deinen Wohnort und Freundeskreis aufgeben und quer durch Deutschland in die schleswig-holsteinische Provinz ziehen. Ohne die Gewissheit, ob das überhaupt klappt! Ich habe das trotzdem gemacht. 

Ist Trotz eine positive oder negative Reaktion auf die sozial-ökologischen Krisen?

Trotz ist erstmal überhaupt eine Reaktion und das finde ich positiv. Besser als Ignoranz oder Schönreden. Trotz kann eine Antriebskraft sein, aber ich glaube, irgendwann muss der Trotz dann umgewandelt werden in konstruktive Möglichkeiten. Im Trotz zu Verharren verändert die Gesellschaft nicht, fürchte ich.

Im Trotz nach SH zu ziehen vielleicht schon?

Genau! (lacht) Danach müssen dann noch die konstruktiven Möglichkeiten folgen. Das Wort Trotz ist ja sehr negativ behaftet. Aber zumindest in der Kindheitspädagogik ist es so, dass man das Verhalten, das früher Trotzphase hieß, mittlerweile eher als Autonomiephase bezeichnet. Und ich glaube, das trifft für solche Projekte auch total zu.

Dein Tipp für andere mit ähnlichen Vorhaben?

Nicht versuchen den perfekten Weg zu finden, sondern einfach mal losgehen! 

Foto: Wandelwerke e.V.

Von insa

Insa interessiert sich für alle möglichen Formen des Dolce Vita, die ohne die Steigerung materieller Dinge auskommen. Dazu können auch schwierige Themen gehören. Neuste Entdeckung von ihr ist das Theater der Unterdrückung als Form des Empowerments. An Flensburg gefällt ihr am besten das Geräusch, das die im Wasser liegenden Segelboote machen.

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