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Der Monatliche Dreizeiler im August mit Göttinnen, Rapperinnen, Podcasterinnen und verkehrter Verkehrspolitik

Titelbild und Zusammenstellung von Emma

Einmal im Monat präsentieren wir im Monatlichen Dreizeiler, was uns in letzter Zeit inspiriert oder geschockt hat. Das was augenöffnend war. Außerdem sammeln wir für den neuen Monat immer mal das, was noch kommt: Interessante Veranstaltungen oder Aktionen zu Feminismus, Nachhaltigkeit und Transformation in Schleswig-Holstein.

Im letzten Sommermonat August gibt es nochmal eine Reihe von Medienempfehlungen von Lea, Insa und Emma für Hängemattenmomente am Wochenende. Für alle die lieber diskutieren als chillen, gibt es von unserem Gastautoren Juli außerdem eine gute Grundlage. Egal ob entspannt oder bereit für den Diskurs, habt einen schönen Monat!

“The egg of a python is the child of Ala…”

– Lea über die ungewöhnliche Autobiographie Freshwater von Akwaeke Emezi 

Um mögliche kognitiven
Dissonanzen abzumildern
und im Idealfall auch noch
die meisten globalen Pro-
bleme zu lösen, wünscht
sich Lea manchmal, dass
alles kleiner, regionaler
und langsamer wird:
Schleswig-Holstein ist da
genau der richtige Ort. 

Ada wurde von ihrer menschlichen Mutter Sachi geboren, aber eigentlich ist sie die Tochter der Göttin Ala – einer Python-Schlange. Gottheiten bevölkern ihren Körper und in ihrem Kopf gibt es einen Marmor-Raum. Dort treffen sich die Gottheiten „Wir“, Ashughara, Ada selbst, aber auch Jesus und Saint Vincent und handeln aus, wer die Kontrolle über ihren Körper und Geist haben darf…
Das Tor zwischen Adas Innen- und der Außenwelt sollte eigentlich geschlossen sein, damit die Gottheiten in ihrem Körper sich in ihr verankern, damit sie nicht neugeboren und uralt gleichzeitig sind. Doch aus Nachlässigkeit (oder aus absichtlicher Vernachlässigung?) haben die Götter die Tore offen gelassen – sie können manchmal sehr bösartig sein.

„In fact, the main problem was that we were a distinct we instead of being fully and just her. […] it was clear that she (the baby) was going to go mad.“

Zitat aus Freshwater von Akwaeke Emezi

Gottheiten im Körper, ein Marmor-Raum und die große Frage nach der Definitionsmacht. Wer bestimmt die Grenze zwischen Gesundheit und Wahnsinn? Wer hat sich die Wörter „Essstörung“, „Suizid“, „Trauma“ und „Persönlichkeitsstörung“ ausgedacht? Wer sagt, diese Phänomene seien wahr, weil wissenschaftlich definierbar – fein säuberlich mit Symptombeschreibung und Kriterien? Und wer hat bestimmt, dass im Gegenteil dazu Gottheiten aus einem anderen Jahrhundert stammen müssen oder von einem anderen Kontinent? 

“Bodies are not meant to remember things from the other side. There are rules. But these gods move like heated water, so the rules are softened and stretched. The gods do not care. It is not them, after all, that will pay the cost.”

Zitat aus Freshwater von Akwaeke Emezi

Was, wenn das alles keine Metaphern sind? Was, wenn wir es wagen Adas Erfahrungen als eine Wahrheit neben anderen Wahrheiten zu verstehen? Und Diagnosen nur als eine Sprache neben vielen anderen Sprachen? Was ist, wenn wir diesen Wörtern, Sätzen und Bildern erlauben, uns in der Tiefe zu verwirren?

Dazu werden wir beim Lesen von Freshwater eingeladen, denn dieses Buch ist kein Roman. Es ist eine Autobiografie. Die Autorin Akwaeke Emezi besteht darauf, das Genre ihres Buches selbst festzulegen und spiegelt damit wider, was Freshwater auf jeder Seite tut: Es sprengt die Grenzen zwischen Fiktion und festgeschriebenen (neo-)kolonialen Realitäten. Hier legt ein Mensch Gesetze, Regeln, Wahrheit und Wahnsinn selber fest und führt damit einen emanzipatorischen Kampf gegen den Kolonialismus und seine Hinterlassenschaften. Gegen die „Jesus-indizierte Amnesie“, mit der alte Traditionen vertrieben, entwertet und in Vergessenheit gedrängt wurden. Emezi setzt ihre Sprachkraft ein, gegen die Deutungsgewalt der sogenannten „westlichen Welt“ und dagegen, dass alles Wissen, aller Glauben und alle Wahrheit in eine richtige, wahre, wissenschaftliche und in eine falsche und unterentwickelte Seite eingeteilt werden. Und gleichzeitig erzählt die Autorin, wie dieser Riss durch sie selbst hindurch verläuft und nicht nur unheilbare Wunden hinterlässt, sondern ein Teil ihrer Identitäten ist, den sie nicht löschen, dem sie aber Ausdruck verleihen kann.

Gerade diese Beschreibung all der inneren Gefängnisse, macht diese Autobiografie für mich zu einem kühnen Schritt in die Richtung einer Art von Freiheit, die nicht darin besteht, alles tun zu können, was mensch will, sondern darin, radikal ehrlich zu sein.

Akwaeki Emezi, Freshwater, Faber and Faber Ltd., 2018, ISBN: 9780571349272.

Kein Caramel Cappuccino 

Insa interessiert sich für alle möglichen Formen des Dolce Vita, die ohne die Steigerung materieller Dinge auskommen. 

Insa über die Musik der Hamburger Rapperin Mariybu und ihre EP Δ PRESSION (De-Pression)

Rappende Frauen erleben die absurdesten Geschichten – manchmal bitter, manchmal witzig. Ein Beispiel, bei dem ich dabei war: Eine Gruppe befreundeter Rapperinnen betritt am Abend des Auftritts den Backstage-Raum, in dem männliche Kollegen abhängen. Der Begrüßungskommentar: „Oh guck, die Backgroundsängerinnen sind da!“ Sexismus, bei dem man nicht recht weiß: lachen oder weinen? 

Lachen mussten wir ein paar Minuten später, als den Kommentatoren klar wurde, dass gerade der Hauptact Mariybu den Raum betreten hatte. Um der Entschuldigung Nachdruck zu verleihen, wollten sie uns einen Caramel Cappuccino ausgeben. Soweit so (bitter)sweet, nur ist sweet eben nicht so unser Ding. Den einzigen Vorteil bringt Rapperin Joel auf den Punkt: “Dank der zahlreichen Sexist*innen dieser Welt, geht ihr nie der Stoff zum Rappen aus.”  

Wenn Frauen Konzerte geben, sind sie da, um im Background zu singen, klare Sache. Und deshalb ist es ein politischer Akt sich auf eine Bühne zu stellen, die einem von außen nicht zugestanden wird. 

Extrapolitisch ist es aber, der Wut über Sexismus lautstark und gekonnt Ausdruck zu verleihen. Diese Wut macht sexistische Absurditäten erst als solche sichtbar und nimmt ihnen dadurch die Normalität, ihre selbstverständliche Alltäglichkeit. Was ist besser, als über dieses Mackertum zu lachen? Oder über PMS zu rappen, während viele Männer lächerlich fehlinformiert sind.

Mariybus Musik ist voll von solchen transformativen Momenten, allein darum lohnt es sich reinzuhören. Abgesehen von den politischen Inhalten sind die Beats einfach dope, alle von Mariybu selbst gebaut und DIY produziert. 

Mariybu ist eine sehr gute Freundin von mir, ihre Musik allerdings ist ein Ausdruck feministischer Schwesternschaft, der weit über diese persönliche Verbindung hinaus relevant ist: Sie bringt Themen auf die Bühne, die bis heute tabuisiert sind, wie Menstruation,  Aggressionen, Depressionen und Selbstbehauptung. Es geht um Frauen, die sich nicht klein machen, sondern so groß wie sie auch tatsächlich sind. Mariybu und ihre Musik sind eine Verkörperung feministischer Selbstermächtigung – wer Bock auf Bestärkung hat (oder sich provozieren/inspirieren lassen will), hört rein! 

Δ PRESSION gibt es zu hören auf allen gängigen Plattformen: Spotify, Deezer, iTunes, Applemusic, Amazon, YouTube.

Fossiles Flensburg

– ein Kommentar von Juli über unglückliche Vorschläge zur Stadtplanung

Juli interessiert sich
für die Transformation
von urbanen Räume
sowie für Ernährung
und Landwirtschaft
und ist ein Kind
der 90er.

„Wir haben die Katastrophe kommen sehen – Wie unsre Ur-Ur-Ur-Großeltern schon – Die gleichen Idioten, das gleiche Problem – Neue Generation“

Das singt Dota Kehr in ihrem Song Raketenstart. Genauso fühlt es sich beim Blick in die Flensburger Lokalnachrichten dieser Tage an:

Die fossilen Dinosaurier unserer Zeit zeigen sich in einer Werbeaktion des Stadtmarketings für die lokalen Autohäuser, parallel zum ersten autofreien Tag in der Flensburger Innenstadt. Obendrauf gibt es das Angebot für die Karstadt-Filialrettung die Straßenführung zu ändern, um für eine wirtschaftlichere Auslastung des überdimensionierten Parkhauses zu sorgen. Und nicht zuletzt der Vorschlag des Einzelhandels ein Moratorium auf den Masterplan Mobilität zu legen und stattdessen die Parkgebühren zumindest teilweise abzuschaffen. Da springt dann auch der lokale Landtagsabgeordnete der FDP, Kay Richert, bei und betont gegenüber dem Flensburger Tageblatt: „Eine autofreie Innenstadt bedeutet auch eine kundenfreie Innenstadt“.

Die Realitätsverweigerung ist beeindruckend, aber schließlich singt auch Dota: „Hatten geglaubt, dass das System sich selbst reguliert“. Dabei ist die autogerechte Stadt nicht das Ergebnis einer unsichtbaren Hand, sondern politischer Entscheidungen. Die letzte Flensburger Straßenbahnlinie wurde in den 70er Jahren als Reaktion auf die damaligen Zukunftsvorstellungen eingestellt. – Die enkeltaugliche Stadt bedingt jedoch ein gleichberechtige Aufteilung des öffentlichen Raums. Das gilt selbst für den Standort des Kraftfahrt-Bundesamts.

Die Flensburger Straßenbahn hatte in der autogerechten Stadt keine Zukunft.

Flensburg, als Grenzstadt zu Dänemark, profitiert außerordentlich von den vielen dänischen Tourist*innen, damit das aber so bleibt, ist es genau jetzt notwendig ein lebenswertes und attraktives urbanes Zentrum einer klimagerechten Moderne aufzubauen. Jens Drews, Vertreter der Flensburg Gilde, schlägt Pop-Up-Stores und das Bekleben der Schaufenster als Antwort auf den innerstädtischen Leerstand vor. Eine solche Fantasielosigkeit verhindert jedoch nicht das Ende der großen urbanen Einkaufsmeilen. Eine zukunftsfähige Transformation bedeutet hingegen die Förderung von Kultur, lokaler Gastronomie, Reparatur- und Nähwerkstätten, Kiezküchen und anderer öffentlicher Gemeingüter. Wie wäre es zum Beispiel mit einem einzigartigen Museum über die koloniale Vergangenheit der Rumstadt Flensburg?

Dota Kehrs Lied endet mit der dystopischen Vorstellung, dass eine privilegierte Elite sich auf dem Weltraumbahnhof Baikonur in Quarantäne begibt, um den verlorenen Planeten Erde zu entrinnen. Es bleibt zu hoffen, dass Flensburg die Corona-Quarantäne stattdessen für einen Pfadwechsel nutzt.

Intersektionale Analysen von Politik bis Popkultur

Emma empfiehlt den Podcast Feuer & Brot

Partizipation und öffent-
licher Raum sind gerade
Emmas Lieblingsthemen.
Sie versucht dieses Jahr
202 Spaziergänge zu
machen, so für die Work-
Life-Balance.

Ich behaupte von mir selbst immer, nicht besonders podcastaffin zu sein. Dabei liegt das vermutlich nur daran, dass ich den guten shit gar nicht kenne? Zumindest die Algorithmen bei spotify und Co. schlagen mir irgendwie immer diese Gesprächspodcasts vor, in denen zwei (weiße) Männer über Gott, Politik, Sex und die Welt quatschen. Das klickt bei mir so gar nicht und der Grund liegt halt irgendwie in der Perspektive. 

Das einzige monatliche Gespräch, dass ich immer wieder gerne höre ist das zwischen Maxi Häcke und Alice Hasters im Podcast Feuer & Brot. Die beiden Freundinnen unterhalten sich über Themen zwischen Politik und Popkultur. Auch wenn es um letzteres geht, wird das Gespräch nie zum sinnentleerten Geplänkel, sondern ist immer hörenswert.

Mal geht es um Alice’s wichtige und anstrengende Rolle in der Black lives Matter Bewegung der letzten Wochen, um White Allyship und schmerzhafte Lernprozesse. In einer anderen Folge werden Argumentationsmuster von Verschwörungsmystiker*innen auseinander genommen. Die Beiden reden über das problematische Männerbild, das auch durch die Filmtrope des Nerds und Nice Guys in Filmen reproduziert wird, oder in der neuesten Folge, darüber wie der Schwarze Mensch in Hollywood zu einem Stereotypen gemacht wird, der vor allem dazu dient, der weißen Hauptfigur hilfreich zur Seite zu stehen. Aber hört selbst: 

Ich mag die Mischung aus scharfsinnigen Analysen, kritischen Selbstbeobachtungen und diesen besonderen Sinn dafür, unglaublich smart und gut informiert, aber nicht abschätzig zu sein: Als Hörerin habe ich nie das Gefühl belehrt zu werden, aber ich lerne immer etwas dazu oder sehe Themen, mit denen ich mich schon beschäftigt habe, mit geschärftem Blick.

Aus der Redaktion:

Ein Hinweis für diejenigen von euch, die uns (noch) nicht auf Instagram folgen: Das solltet ihr unbedingt tun, denn ein Teil der Redaktion macht sich gerade die Mühe alte Artikel aus der Reihe zukunft(s)gestalten noch einmal hervorzukramen, aufzufrischen und mit zusätzlichen Informationen auf der Social Media-Plattform zu teilen. Go there and follow!

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Und, wie immer, zum Schluss:

Und zum Schluss unsere Frage an euch: Was habt ihr zuletzt gesehen oder gelesen, das euch die Augen geöffnet oder überrascht hat. Wir freuen uns über eure Empfehlungen in den Kommentaren oder drüben bei Instagram (@trotzdem.mag)!

Von redaktion

Die zwölfköpfige Redaktion ist soziokratisch organisiert und immer offen für neue Gesichter! Falls du also Lust hast, deinem Talent ein Medium zu geben: Schreib uns an moin@trotzdem-mag.de

2 Antworten auf „Der Monatliche Dreizeiler im August mit Göttinnen, Rapperinnen, Podcasterinnen und verkehrter Verkehrspolitik“

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