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Der Monatliche Dreizeiler im Januar mit zwei kleinen Updates und einer Anregung zum Privilegiencheck

Titelbild & Zusammenstellung: Emma Marx

Einmal im Monat präsentieren wir im Monatlichen Dreizeiler, was uns in letzter Zeit inspiriert oder geschockt hat. Das was augenöffnend war. Außerdem sammeln wir für den neuen Monat immer mal das, was noch kommt: Interessante Veranstaltungen oder Aktionen zu Feminismus, Nachhaltigkeit und Transformation in Schleswig-Holstein.

Der Januar 2021 beginnt mit einer guten Prise Reflexion. Lisa und Insa blicken „zurück nach vorn“. Sie haben sich zwei ihrer Artikel aus dem vergangenen Jahr nochmal vorgeknöpft und bringen uns auf den neuesten Stand: Wo bleibt eigentlich das Lieferkettengesetz für die Textilbranche? Und was ist aus dem geplanten Wohnprojekt in Plön geworden? Auch Marie ist zwischen den Jahren in sich gegangen und blickt neu auf ihre eigenen Privilegien und auf den Iran. Was das miteinander zu tun hat? Lest selbst!

Das Lieferkettengesetz lässt auf sich warten!

— Lisa mit einem Update zum Artikel “Menschenrechte im Ausverkauf” vom Juni 2020
Bei Ungerechtigkeiten aller Art, Angeber*innen und falschen Kommas steigt sogar unserer diplomatischsten Trotznase, Lisa, das Blut in den Kopf.

Wer sich mit Aktivismus und politischer Entscheidungsfindung beschäftigt, weiß, dass es sehr lange dauern kann, bis Initiativen es ins Parlament schaffen – wenn nicht gerade große Lobbyverbände und sehr viel Geld dahinter stehen. Wenn Politiker*innen verstanden haben, dass sie aktiv werden müssen, wird oft zunächst auf freiwillige Selbstverpflichtungen gesetzt und erst wenn das nicht funktioniert, auf gesetzliche Verankerungen. Und dafür braucht es dann Mehrheiten im Bundestag. So ein Gesetz hat zumeist einen ziemlich langen Weg hinter sich, bis es verabschiedet wird und in Kraft tritt. Somit ist es auch nicht wirklich verwunderlich, dass immer noch kein Lieferkettengesetz verabschiedet wurde, ärgerlich ist es aber dennoch. Immerhin zeigt die Coronakrise wieder einmal, wie verwundbar die globalen Lieferketten – und damit die Menschen dahinter – sind. 

Ein Sharepic der Inititative Lieferkettengesetz, bei der unter anderem Brot für die Welt, BUND, der Netzwerk für Unternehmensverantwortung, Germanwatch und Greenpeace mitmachen.

In unserer #leise-Ausgabe im Sommer dieses Jahres erklärte ich in dem Artikel “Menschenrechte im Ausverkauf”, weshalb Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen in ihrer gesamten Lieferketten belangt werden sollten. Das ist aktuell nämlich noch nicht der Fall bzw. sehr langwierig und schwierig durchzusetzen, wie die gescheiterte Klage gegen den Textilriesen KiK zeigt. Nachdem der Bundesminister für Arbeit und Soziales Heil (SPD)und der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Müller (CSU) 2020 erneut feststellten, dass freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen keine Wirkung zeigen, verhandelten sie das ganze Jahr über mit Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) über ein Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, dass Unternehmen ab 500 Mitarbeiter*innen haftbar machen soll für Menschenrechtsverletzungen in ihren Zulieferbetrieben weltweit. Auch im Koalitionsvertrag ist dieses Gesetz vorgesehen für den Fall, dass Freiwilligkeit nicht ausreicht. 

Arbeitsminister und Wirtschaftsminister sind sich uneinig – und halten so die Einführung des Gesetzes auf.

Bis Weihnachten sollte eigentlich eine Einigung erzielt werden, doch dazu ist es leider nicht gekommen, was Arbeitsminister Heil “ziemlich sauer” macht, wie er bei einer Pressekonferenz am 17. Dezember 2020 sagte. Blockiert wird das Gesetz von der Union und Wirtschaftsminister Altmaier. Heil dazu: “Ich muss feststellen, dass das bisher, trotz einiger Fortschritte, mit dem Kollegen Altmaier nicht zu erreichen war.”

“Ich muss feststellen, dass das bisher, trotz einiger Fortschritte, mit dem Kollegen Altmaier nicht zu erreichen war.”

Hubertus Heil in Bezug auf das verspätete Lieferkettengesetz

Es knirscht also zwischen Wirtschaftsministerium auf der einen Seite und Arbeitsministerium und Entwicklungsministerium auf der anderen Seite: Konkret herrscht Uneinigkeit u.a. darüber, ob eine zivilrechtliche Haftung für Firmen mit inbegriffen sein soll. Diese soll es potenziellen Kläger*innen deutlich erleichtern wegen Menschenrechtsverletzungen gegen deutsche Unternehmen  zu klagen. Altmaier fürchte wohl eine zu große Belastung der Wirtschaft. Doch Heil scheint dranbleiben zu wollen, denn “ein Gesetz, dass keine Wirkung entfaltet, wäre überflüssig und würde nichts besser machen.” Er werde weiter kämpfen “für solch ein wirksames Lieferkettengesetz.” Dafür sollen im Januar 2021 direkte Gespräche mit Scholz und Merkel stattfinden, um noch in dieser Legislaturperiode zu einem Abschluss zu kommen.

Auch die deutsche Bevölkerung befürwortet übrigens laut einer Infratest dimap Umfrage zu 75 % solch ein Lieferkettengesetz. Wer auf dem Laufenden bleiben möchte findet hier aktuelle Informationen.

Privilegienscham im Winterloch

— Marie über die Graphic Novel „Persepolis – Eine Kindheit im Iran” von Marjane Satrapi
Marie fühlt sich bei Regen und Wind oft am lebendigsten. Die Bandbreite der großen und kleinen Themen des Lebens, die sie beschäftigten, ist genauso weit wie der nordische Horizont.

„Leise rieseln die Privilegien“ – so übertitelte kürzlich Melina Borčak in der TAZ ihren Kommentar über die christliche Dominanz in Deutschland, die sich zuletzt eindrücklich an der Ungleichbehandlung religiöser Festtage manifestierte. Und ich stimme ihr zu: Es ist schon sehr absurd, dass Weihnachten unter allen Umständen ermöglicht wurde, während es zu Chanukka oder Ramadan keine Lockerungen gab. Ich bin zwar kein Stück religiös, Weihnachten zu feiern ist in meiner Familie aber trotzdem Norm und das wurde mir aufwändiger- und riskanterweise ermöglicht: Das ist ein Privileg. Ob ich es nun will oder nicht.

Stellt mensch einmal fest, dass sie*er privilegiert ist, führt das schnell zu Scham und Ohnmacht. Audre Lorde schreibt dazu: „Your privilege is not a reason for guilt, it is part of your power, to be used in support of those things you say you believe.”

„Your privilege is not a reason for guilt, it is part of your power, to be used in support of those things you say you believe.”

Feminstin Audre Lorde in ihrem Essayband “ I Am Your Sister: Collected and Unpublished Writings of Audre Lorde“

Alles klar. Nun hat diese lahme Winter-, Weihnachts- und COVID-Zeit aber leider an sich, dass nicht ganz so viel Handlung möglich ist. Aber vielleicht lässt sie sich ja zumindest nutzen, um die eigene Ignoranz und Unkenntnis zu mindern. Beispielsweise – und nun zum eigentlichen Inhalt des Beitrags – durch die Graphic Novel „Persepolis“ (die ich übrigens unterm Weihnachtsbaum liegen hatte).

Marjane Satrapi verbildlicht ihre Kindheit im Iran während der Islamischen Revolution und zeichnet so gegen das allgegenwärtige Bild des Irans an, das auf „Fundamentalismus, Fanatismus und Terrorismus“ fokussiert. 2000 erschienen – und 2007 verfilmt –, hat „Persepolis“ bis heute nicht an Aktualität oder Wichtigkeit verloren: „Ich glaube, dass man eine ganze Nation nicht aufgrund der Fehler einer extremistischen Minderheit verurteilen darf“, schreibt Satrapi. Und wer, wie ich, wenig Ahnung von der Geschichte des Irans hat, dem ist hier eine wunderbare Möglichkeit gegeben worden, sich in die Erlebenswelt von Iraner*innen der nicht-extremistischen Mehrheit reinzufühlen und zu ein wenig mehr Wissen zu gelangen. Vielleicht hilft das ja auch dabei im neuen Jahr Privilegien durch mehr Wissen auch in Handlungen zu übersetzen.  

Marjane Satrapi, Persepolis: Eine Kindheit im Iran, Carl Ueberreuter Verlag, 2005, ISBN: 978-3800051281

Wie ein Projekt scheitern und sich trotzdem lohnen kann

Insa erkundigt sich nach dem sozial-ökologischen Wohnprojekt aus dem Artikel “Da springt bei vielen die Kommune-Glocke an“ vom Januar 2020
Insa interessiert sich für alle möglichen Formen des Dolce Vita, die ohne die Steigerung materieller Dinge auskommen.

Vor etwa einem Jahr im Dezember 2019 habe ich Mona Kraus von dem Verein Wandelwerke e.V. für trotzdem interviewt. Ziel des Vereins war die Schaffung eines selbstverwalteten Arbeits- und Wohnprojekts auf dem Gelände des Seehofs in Plön: Das Konzept beinhaltete unter anderem Coworking Spaces, ökologische Landwirtschaft und Umweltbildung, ein Kulturcafé, eine Repairwerkstatt und gemeinschaftliches Wohnen. Für den Startschuss fehlte damals noch die Erlaubnis der Landesplanung Schleswig-Holstein auf dem Gelände des Seehofs auch fest wohnen zu dürfen. 12 Monate später frage ich mich – wie ging es eigentlich mit dem Projekt weiter?

Mona erzählt wie es mit den Wandelwerken e.V. weiterging und weitergehen soll. (Privates Bild.)

Unter Corona Bedingungen ist ein richtiges Interview natürlich nicht drin, daher rufe ich Mona einfach an. Sie erzählt mir, dass sowohl die Gemeinde als auch der Kreis Plön grundsätzlich offen für die Ideen der Wandelwerke waren. Als Pluspunkte galten beispielsweise das Konzept des Mehrgenerationenwohnens, sowie die geplante (Erlebnis-)Landwirtschaft, in der ökologischer Anbau und Bildung miteinander verknüpft werden sollten – was insbesondere der Naturschutzbehörde gut gefiel. Im Februar 2020 erteilt jedoch die Landesplanung Schleswig-Holstein dem Projekt eine Absage. Sie beruft sich dabei auf den Landesentwicklungsplan, in dem festgelegt ist, dass der Raum Plön zum Schwerpunktgebiet für Tourismus werden soll. Das Konzept der Wandelwerke, in dem Tourismus und dauerhaftes Wohnen verknüpft wird, genügte dem Anspruch der Behörde nicht. 

Für den Verein ein herber Rückschlag. Um es mit Monas Worten zu sagen: “Mit dem Verlust des Geländes, an das so viele Hoffnungen geknüpft waren, ging auch einiges von dem inneren Drive und dem Fokus der Gruppe verloren, der auf die Gestaltung des Seehofs gerichtet war.” Einige Mitglieder treten aus, bei vielen anderen ist die Luft raus. Die Gruppe holt sich externe Beratung und stellt sich gemeinsam die Frage: „Was trägt uns als Gruppe, wenn nicht das Objekt? Wie machen wir weiter?“ 

Mona, Lukas und Jeremias, die ehemalige Lokomotive der Seehof-Gruppe. (Privates Bild.)

Die Idee das Projekt auf dem Gelände des Seehofs zu realisieren ist also gescheitert. Mona erzählt mir jedoch, dass die Gruppe auch gewonnen habe: So habe die Absage des Ortes die Identifikation mit der Gemeinschaft gestärkt. Die Gruppe habe sich als resilient genug herausgestellt, auch bei einer solchen krassen Planänderung handlungsfähig zu bleiben. Mona fasst diesen Prozess in einer Metapher zusammen: „In der ersten Phase waren ich, Lukas und Jeremias (Gründungsmitglieder des Vereins) die Zugpferde des Projekts. Wir hatten eine klare Vision, haben sehr viel Energie investiert und so den Zug ins Rollen gebracht. Als die Absage vom Seehof kam, war bei uns ziemlich die Luft raus und wir sind sozusagen vorne aus dem Zug rausgefallen. Genau in diesem Moment haben aber andere aus der Gruppe die Führung übernommen und wir konnten gemütlich hinten wieder in den Zug einsteigen.“

„Als die Absage vom Seehof kam, war bei uns ziemlich die Luft raus und wir sind sozusagen vorne aus dem Zug rausgefallen. Genau in diesem Moment haben aber andere aus der Gruppe die Führung übernommen und wir konnten gemütlich hinten wieder in den Zug einsteigen.“

Mona über den Gruppenprozess während der Suche nach einem geeigneten Gelände für ein sozial-ökologisches Wohnprojekt.

Für die Gruppe geht die Suche nach einem Ort zur Realisierung ihrer Vision des sozial-ökologischen Wohnens nun weiter – während die Gebäude auf dem Gelände des Seehofs weiterhin leer stehen.

Von redaktion

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