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Es folgt: Wahlwerbung // Robert, Kurt, ich und Europa

Langsam werde ich nervös: Vom 23.–26. Mai sind Europawahlen, und so richtig viel regt sich, zumindest in meiner analogen Atmosphäre, noch nicht. Es fühlt sich ein bisschen an, als würde in drei Monaten darüber entschieden, ob die EU überhaupt sinnvoll ist und wir verharren derweil im Winterschlaf. Vielleicht panike ich ja auch unnötig und bald geht hier der Wahlkampf los, dass es sich gewaschen hat?

Die Europa-Universität Flensburg, Lauras und meine Uni also, bewegt sich mit der Veranstaltungsreihe Schicksalsjahr: Die Europawahlen 2019 immerhin langsam in Richtung Wahlen. Den Auftakt durfte, ganz Flensburg-like, natürlich Robert Habeck machen. Er hat am 15. Februar im Audimax gewohnt sprachgewandt für die EU geworben.

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Auch, wenn man sich die gesamte Rede auf dem Youtube-Kanal der Uni anhören kann, kommt hier eine kurze Zusammenfassung, inklusive meiner liebsten catchy Sätze. (Wer keine Lust auf Zusammenfassungen politischer Argumente hat, überspringe diesen Teil, und gehe direkt zu meinem pathetischen Wahlaufruf am Ende des Artikels über!):

Habecks These ist folgende: “Um die zentralen Fragen der Gegenwart zu beantworten, brauchen wir politische Steuerungsmechanismen, die so groß sind, wie die Herausforderungen der Gegenwart.” Seiner Meinung nach, können die Antworten auf die dringlichen Fragen unserer Zeit immer nur transnationale sein.

 

Die aktuelle Diskussion, ob nationale Rechte verteidigt werden sollen oder Europa weitergebaut werden soll, hält Habeck für die verkehrte Diskussion. Hier wird ausgeblendet, dass es gar nicht um diese Art der abstrakten Problemstellung geht. Stattdessen müsse man sich viel eher den Herausforderungen zuwenden, eben den Fragen unserer Zeit. Wir müssten schauen, wer überhaupt die Möglichkeit hat, darauf eine Antworten zu geben.

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Die drei dringendsten Herausforderungen, und die europäischen Antworten darauf, deklinierte Habeck folgendermaßen:

Erstens, die geopolitische Lage: Unter Donald Trump haben die USA sich von einem Klassensprecher der Internationalen Zusammenarbeit zu einem Hauptakteur gegen Multilateralismus gewandelt. Aus Habecks Sicht führt dies dazu, dass Europa sich zu einer Art Weltfriedensmacht entwickeln muss. Dafür muss es auch eine gemeinsame Außenpolitik – inklusive militärischer Komponenten – geben. Und das ist keine kleine Aufgabe, vor allem angesichts der momentanen Verfasstheit der europäischen Union. Dennoch glaubt Habeck auch: “Europa könnte seine Erfahrung, ein zernarbter, zerfurchter, kriegsgebeutelter Kontinent zu sein, nehmen und sagen: Wir haben eine Lehre daraus gezogen.

Zweitens, der Klimawandel: Einerseits dessen Bekämpfung, z.B. durch eine europäische Energiewende, – viel effizienter, als nur auf Landes- oder Bundesebene. Aber auch der Umgang mit den Folgen des Klimawandels ist ein transnationales Thema und dazu gehört auch eine neue Politik gegenüber zukünftigen Klimageflüchteten. Flucht- und Migrationswege müssten so gestaltet werden, “dass sie nicht selbst im Chaos versinken.” Hier ist der Beitrag, den nationale Staaten leisten können, nur begrenzt, wie wir in den letzten Jahren gesehen haben.

Drittens, die Digitalisierung: Diese fasst Habeck als neue industrielle Revolution, “die vielen Menschen das Gefühl gibt, überfordert zu sein.” Die fortschreitende Entwicklung der KI-Technologien führt zu immer mehr neuen ethischen und ökonomischen Unsicherheiten. Daten seien schließlich die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts und werden, entgegen anderer Rohstoffe, mehr, je mehr wir sie gebrauchen, nicht weniger. “Das sind keine Staaten, das sind werbebasierte, ökonomische, hochprofitable Unternehmen, die aber im Grunde mehr Wissen haben und auch mehr Möglichkeiten haben, als fast jeder Staat heute,” fasst Habeck diesen Punkt zusammen. Um was für eine Verschiebung von Macht es sich hier handelt, wird deutlich, wenn man sich die Besteuerung von Google, Facebook und Amazon ansieht oder eher die Nichtbesteuerung. Auch dieser Herausforderung kann nicht nationalstaatlich begegnet werden.

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Die Frage, wie Europa denn nun, angesichts dieser Schwierigkeiten, handlungsfähig werden kann, beantwortet Habeck dann glücklicherweise auch und wiederum in drei Teilen:

Erstens: Europa zeichnet sich dadurch aus, dass es “andere Formen der Lösung” von Konflikten gefunden hat, als es je zuvor gab: Hier haben sich erstmals bestimmte Verhandlungsnormen etabliert, die Grundlage seiner Wirkmächtigkeit sind und bleiben sollen. “Die Kraft für die Lösung der externen Probleme schöpft Europa daraus, dass es sich intern weiterentwickelt.” Und das bedeutet, aus Habecks Sicht, das Europa sich “zu einer echten, eigenständigen Demokratie entwickeln muss.” Die Institutionen müssen dafür schlagkräftiger werden und es müssen Mehrheitsabstimmungen eingeführt werden, um Blockadesituationen zu vermeiden.

Zweitens: Die sozialen Fragen müssen mit den ökonomischen zusammen gedacht werden. Die Europäische Union ist schon lange keine reine Währungsunion mehr (und war es auch nie vollständig), deshalb sei es an der Zeit für eine gemeinsame Sozialpolitik. Damit meint Habeck nicht, dass beispielsweise überall der gleiche Mindestlohn eingeführt werden soll, wohl aber, dass die Richtlinien, an denen sich der Mindestlohn in den einzelnen Mitgliedsstaaten ausrichtet, immer die gleichen sind.

Drittens: Europa muss erkennen und definieren, wo es nicht eingreift: Für die großen Fragen sei Europa der richtige Player, aber es müssen nicht alle Fragen zu europäischen gemacht werden. Wenn es möglich und nötig sei, dann sollten Probleme dort gelöst werden, wo sie ent- und bestehen.

Geschlossen hat Habeck den Abend, nach einer anregenden Diskussion, übrigens mit folgenden Worten: “Meine Vision sind die geeinten Staaten von Europa.” Pathetisch und sicherlich mehr Utopie, als baldiger Realzustand. Aber irgendwie ist es genau das, was wir vielleicht brauchen: Mehr Mut dazu, positive Zukunftsbilder zu malen.

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Genug der Zusammenfassung: Das Thema brennt mir so auf der Seele, weil mir gerade wieder einmal bewusst geworden ist, wie unwahrscheinlich und wenig selbstverständlich ein friedliches Europa mit offenen Grenzen ist. Klar, es gibt ständig Konflikte zwischen den Mitgliedsstaaten und kaum noch multilaterale Entscheidungen, auf die alle Unionsmitglieder sich einigen können. Die Situation ist nicht rosig. Die Visegrád-Staaten haben nicht nur andere Vorstellungen von Europa, sondern machen auch vermehrt ihr eigenes Ding. Aber dennoch muss man sich einmal die Alternative vor Augen führen. Bei mir tat das gerade Kurt Tucholsky, der schon 1920 (verdammt nochmal!) in seinem Text Die Grenze folgenden, absurden Irrsinn beschrieb:

“Weit liegt die Landschaft. Berge, Täler und Seen. Die Bäume rauschen, die Quellen springen, die Gräser neigen sich im Wind.
Quer durch eine Waldlichtung, durch den Wald, über die Chaussee hinüber läuft ein Stacheldraht: die Grenze. Hüben und drüben stehen Männer, aber die drüben haben blaue Uniformen mit gelben Knöpfen und die hüben rote Uniformen mit schwarzen Knöpfen. Sie stehen mit ihren Gewehren da, manche rauchen, alle machen ein ernstes Gesicht.
Ja, das ist also nun die Grenze. Hier stoßen die Reiche zusammen – und jedes Reich paßt auf, daß die Bewohner des andern nicht die Grenze überschreiten. Hier diesen Halm darfst du noch knicken, diesen Bach noch überspringen, diesen Weg noch überqueren. Aber dann – halt! Nicht weiter! Da ist die Grenze.”

Und dann erst dieser Abschnitt aus dem gleichen Text:

“Eine Erde wölbt sich unter den törichten Menschen, ein Boden unter ihnen und ein Himmel über ihnen. Die Grenzen laufen kreuz und quer wirr durch Europa. Niemand aber vermag die Menschen auf Dauer zu scheiden – Grenzen nicht und nicht Soldaten –, wenn die nur nicht wollen.”

Darauf kommt es an: Wir Europäer*innen müssen zusammen bleiben WOLLEN. Die Europäische Union muss ihre Rolle in der Welt und ihren Mitgliedstaaten gegenüber annehmen WOLLEN. Fast möchte ich schreiben: Ob sie will, oder nicht.

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Aber das stimmt eben nicht. Es kommt uns vielleicht natürlich vor und doch zeigt sich in den beiden Textabschnitten, dass Kurt Tucholsky schon kurz nach dem ersten Weltkrieg darüber nachdachte, wie willkürlich diese nationalstaatliche Trennung doch eigentlich ist. Und trotzdem kam erst noch ein zweiter Weltkrieg. Das zeigt nichts anderes, als dass kein Zustand von Dauer ist. Alles ist immer in Veränderung. Wie schnell sich Nationalismus ausbreiten kann, konnten und können wir in den letzten Jahren selbst beobachten. Ich persönlich möchte nicht, dass Menschen mit diesen Auffassungen im Europäischen Parlament sitzen. Auch deswegen müssen wir alle im Mai wählen gehen. Diejenigen, die gegen die EU sind, setzen auf jeden Fall ihr Kreuz. Setzt euer Kreuz dagegen!

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Last, but not least – Hintergründe, Hinweise und Hipster-Wahlkampf:

Robert Habecks Rede war, wie gesagt, der Auftakt einer ganzen Reihe zur Europawahl. Folgende weitere Termine sollten sich alle Flensburger*innen im Kalender anstreichen:

29. März, 11 Uhr: “Dialog zur Zukunft Europas” mit Bettina Hagedorn, MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium der Finanzen
08. April, 10 Uhr: “Mit Europa Zukunft für den Norden sichern” mit Sabine Sütterlin-Waack, Europaministerin von SH
16. Mai, 18 Uhr: “Brexit and its consequences for Europe” mit Christopher Thornhill, University of Manchester
21. Mai, 18 Uhr: “Positionen zu Europa” – Podiumsdiskussion mit den Europa-Kandidat*innen: Rasmus Andresen (Bündnis 90 / Die Grünen), Delara Burkhardt (SPD), Julian Flak (AfD), Niklas Herbst (CDU), Helmer Krane (FDP), N.N. (Die Linke)
22. Mai, 18 Uhr: “Die wichtigste Wahl des 21. Jahrhunderts” – Diskussion u.a. mit Hauke Brunkhorst, EUF

Den EU Passport aus dem Header habe ich auf der Seite der österreichischen Band Bilderbuch generiert. Das geht super easy und ist ein Statement. Ab damit in die Instafeeds! Bilderbuch brachte außerdem gestern ein neues Album raus, mit dem Song Europa 22. Der Text: “Ein Leben ohne Grenzen. Eine Freedom zu verschenken. Eine Freiheit nicht zu denken.”

Weil ich ein Robert-Habeck-Fangirl bin, höre ich auch besonders gerne seine Gespräche mit Tilo von Jung und Naiv. Da war er schon mehrmals zu Gast und ich finde, dass man in dem Podcast gut seine Beweggründe und Ideen nachvollziehen kann. Vielleicht sogar noch besser, als bei dem Vortrag in der Uni, den ich zusammengefasst habe.

Die Textausschnitte aus Die Grenze habe ich aus der Essay- und Gedichtsammlung Panther, Tiger und Co. (Rowohlt: 1990), in der noch viel mehr tolle Texte von Kurt Tucholsky stehen. (Eine Freundin hat das Buch übrigens antiquarisch gefunden. Günstig und nachhaltig.)

Von emma

Emma hat mal Medienwissenschaft und Germanistik studiert – sie ist also nicht nur prädestiniert dafür, auf alle Artikel nochmal einen letzten (Kontroll-)Blick zu werfen, sondern macht das auch noch gerne. Partizipation und öffentlicher Raum sind gerade ihre Lieblingsthemen. Um sich damit weiter zu beschäftigen, hat es sie dieses Jahr nach Berlin verschlagen.

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