MDZ

Monatlicher Dreizeiler im April über ein Buch gegen Alltagsrassismus, Fahrradfahren als Kampf und den perfekten Lebensentwurf

Zusammengestellt: Anna Glindemann – Titelbild: Laura Klein

Einmal im Monat präsentieren wir im Monatlichen Dreizeiler, was uns in letzter Zeit inspiriert oder geschockt hat. Das was augenöffnend war. Und wir sammeln für den neuen Monat das, was noch kommt: Interessante Veranstaltungen zu z.B. Feminismus, Nachhaltigkeit und Transformation in Schleswig-Holstein. Besonders in der derzeitigen Ausnahmesituation merken wir, dass unser öffentliches Leben plötzlich nur online stattfindet und dieser Raum noch wertvoller erscheint, als sonst. Aufregende Zeiten für ein Onlinemagazin! 

Wir sind also sehr froh, auf webbasierte Alternativen zurückgreifen zu können, wenn es zum Beispiel um unsere Redaktionssitzungen geht. Lasst uns dabei jedoch nicht all die Einrichtungen vor Ort vergessen, die uns eine gute regionale Versorgung bieten. Es gibt viele kleine Geschäfte, tolle alternative Versorger zu großen Ketten. Auf Instagram sammeln wir nach und nach, welche kleinen Unternehmen es jetzt zu unterstützen gilt. Eine sich füllende Sammlung für Schleswig-Holstein findet ihr außerdem unter www.kauf-lokal.sh. Zudem gibt es in vielen Städten und Gemeinden die Möglichkeit von Nachbarschaftshilfe, um Menschen zu unterstützen oder unterstützt zu werden.

Aber zurück zum MDZ: Diesen Monat haben sich Lisa, Emma und Anna mit dem neuen Buch von Alice Hasters, Fahrradfahren in Zeiten von SUV-Rekordzulassungen und dem perfekten Lebensentwurf beschäftigt und ihren (diesmal eher ausführlichen) Senf dazu gegeben.

Alice Hasters: „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“

Bei Ungerechtigkeiten aller Art, Angeber*innen und falschen Kommas steigt sogar unserer diplomatischsten Trotznase, Lisa, das Blut in den Kopf.

– eine Buchvorstellung von Lisa Boll

Bist du rassistisch? Nein? Sicher? Wir alle sind Teil einer rassistischen Gesellschaft.

Wer allerdings nicht direkt von Rassismus betroffen ist, kann sich dem Thema leicht entziehen. Gibt schließlich genug andere schlimme Themen, mit denen man sich beschäftigen kann. Und selbst rassistisch ist man ja nicht. Also nicht Teil des Problems. Doch nicht 2020, wo Vielfalt und Diversity in jeder zweiten Stellenausschreibung betont werden. Sicher gibt es mal dumme Sprüche von Nazis, aber da sollten die Betroffenen doch drüber stehen...“

So, oder so ähnlich, denken unbewusst viele weiße Menschen. Doch wenn wir wirklich wollen, dass systematischer Rassismus der Vergangenheit angehört, können wir nicht wegschauen und müssen uns mit den verinnerlichten rassistischen Mustern in unserer Gesellschaft beschäftigen und bei uns selbst anfangen, diese zu hinterfragen. Denn das Thema Rassismus geht den weißen Teil der Bevölkerung ebenso viel an wie die direkt von Rassismus Betroffenen: „sich mit dem eigenen Rassismus zu konfrontieren, ist im ersten Moment schmerzhaft, aber der einzige Weg, ihn zu überwinden” – steht es so treffend auf der Rückseite des Buches von Alice Hasters, das ich gerade gelesen habe.

© Lisa Boll

Hasters gibt mit ihrem Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten einen sehr ausführlichen und detaillierten Einblick in das Leben und die Diskriminierungserfahrungen von BIPoC (Black, Indigenous and People/Person of Color) in Deutschland. Als Tochter einer US-Amerikanerin und eines Deutsches erzählt sie von ihrer Kindheit in Köln-Nippes, ihrem Auslandsjahr als Teenager in Philadelphia, und der schwierigen Suche nach der eigenen Identität zwischen dem Gefühl nicht deutsch genug und nicht schwarz genug zu sein.

© Lisa Boll

Alice Hasters macht ihre eigenen Erfahrungen in dem Buch sichtbar, und das explizit für weiße Menschen. Sie zeigt, wie verinnerlichte Denkmuster und vermeintliche Komplimente von Weißen an BIPoC rassistische Strukturen nicht aufbrechen, sondern viel eher fortführen. Sie schafft es, persönliche Erfahrungen mit historischen Kontinuitäten zu verknüpfen und so klar zu machen, dass Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe in Deutschland nicht nur punktuellen Diskriminierungen von Nazi ausgesetzt sind, sondern dass Rassismus das ganze (Gesellschafts-)System durchzieht. 

Persönlich war ich erschrocken, wie wenig ich über die Verbrechen der deutschen Kolonien in Afrika weiß. Welche Menschenbilder und Rassentheorien damals erfunden wurden, um die systematische Versklavung schwarzer Menschen zu rechtfertigen, ist irre. Und viele dieser Bilder beeinflussen auch heute noch das Denken über BIPoC.

© Lisa Boll

Unser Redaktionsmitglied Svenja, die das Buch auch gelesen hat, ist die intersektionale Perspektive von Hasters positiv aufgefallen. Hasters macht den Punkt stark, dass sie als schwarze Frau nicht nur von Rassismus betroffen ist, sondern auch von Sexismus, was oft zu doppelten Stereotypen führt. 

Was wir (weißen) Bürger*innen also tun können? Uns mit dem Thema beschäftigen. Hasters’ Buch und andere Bücher von BIPoC lesen. Uns solidarisch zeigen, zuhören und eigene Befindlichkeiten zurückstellen. Das sind erste wichtige Schritte, um Rassismus sichtbar zu machen, eigene Denkweisen zu hinterfragen und so Rassismus nicht weiter fortzuführen.

Alice Hasters, Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten, Hanser Verlag, 2019, ISBN: 978-3-446-26425-0

Neongelbe Aufrüstung

– ein Kommentar von Emma Marx

Emma fühlt sich auf ihren eigenen beiden Beinen am wohlsten. Wenn nur der Weg zur Arbeit kürzer wär…

Zwei grellgelbe Signallichter brettern den Berg herunter. Die Dunkelheit des Flensburger Morgens wird durchrissen. Es ist, als reflektierten die beiden Fahrradfahrer*innen alles Licht im Umkreis von zwei Kilometern: Um Arme, Beine, Rucksack winden sich rot blinkende Leuchtschläuche. Die Helmüberzüge heben sich, wie Weihnachtsbaumspitzenkerzen, vor dem dunklen Hintergrund ab. Dabei ist Frühling, Weihnachten ist lang her und noch weiter weg.

Dieser Artikel bezieht sich auf eine Vor-Corona-Realität. Vielleicht genießt ihr es ja, euch an die guten alten Zeiten zurück zu erinnern? Wobei die gar nicht so gut und sicher waren, wie wir im Nachhinein glauben wollen. – Damals fuhr ich noch jeden Tag vor acht Uhr mit dem Fahrrad Richtung Arbeit und ließ mich regelmäßig und immer öfter von oben beschriebenen Phänomen blenden.

Immer mehr Menschen auf Fahrrädern ersaufen regelrecht in ihren neongelben Kluften: Es fing damit an, dass plötzlich Erwachsene Helme trugen. Irre ich mich, oder war das – völlig zu Unrecht übrigens – vor einigen Jahren eher die Ausnahme, als die Regel? Damals dienten Helme vor allem Eltern dazu, für ihren Nachwuchs Vorbild sein zu können. Inzwischen sehe ich mehr behelmte als unbehelmte Köpfe auf dem Weg zur Arbeit. Kamen dann die Warnwesten oder zuerst die reflektierenden Beinclips? Plötzlich schien jede fahrradfahrende Person in dieser Stadt, die etwas auf sich hielt, ein gelbes Accessoire am Körper zu tragen. Es folgten blinkende Helme, neongelbe Hosen, neongelbe Schuhschoner und neongelbe Rucksacküberzüge. Es gibt, für besonders modebewusste Radler*innen, die auch auf dem Weg zur Arbeit auf den monochromen Look nicht verzichten wollen, sogar grellgelbe Handschuhe! 

© Emma Marx

Ich möchte hier argumentieren, dass dieses Neongelb der Ausdruck einer Verschiebung alltäglicher Praktiken sind, die Reaktion auf eine verschärfte Sicherheitslage. Die These: Seit einigen Monaten, vielleicht seit Jahren, gibt es auf den schleswig-holsteinischen Straßen eine wechselseitige Aufrüstung. Für die einen geht es dabei um Leben oder Tod! Für die anderen, hinter den Steuern, geht es um ein geiles Fahrgefühl.   

Aber ernsthaft: Was bewegt große Teile der fahrradfahrenden Bevölkerung (zumindest in Flensburg) dazu, sich jeden Morgen doppelt anzuziehen? Ist es ein stiller Protest, der Fahrradfahrende zu einer Gruppe zusammenschließt, die im Straßenbild einheitlich auftritt? Hat tatsächlich die sexistische Werbung für Fahrradhelme von Andreas Scheuer gewirkt? Oder stimmt doch mein Aufrüstungsgedanke? – Besteht eine Korrelation zwischen zugelassenen SUVs auf deutschen Straßen und dem Verkauf neongelber Schutzkleidung? 

© Emma Marx

Natürlich trägt eine erhöhte Sichtbarkeit im Straßenverkehr dazu bei, dass man weniger schnell von stärkeren Verkehrsteilnehmer*innen erwischt wird. Der Schutz ist die eine Sache, vermutlich steigert sich aber vor allem das individuelle Schutzempfinden mit jedem weiteren reflektierenden Stück am Körper. Welche Zahl aber nachweislich steigt, ist die tödlich verunglückter Fahrradfahrender

Und so kommt diese kleine Beobachtung und auch meine etwas provokative Spöttelei zu einem bitteren Ende. Denn selbst die neongelbeste, blinkendste Aufmachung hilft wenig, wenn der Gegner bis zu 2,5 Tonnen wiegt und die Autoindustrie vom Staat subventioniert wird.

Ich trage übrigens seit zwei Monaten auch Helm und wenn ich – nach Corona natürlich – meinen alten Arbeitsweg wieder auf mich nehme und es auf den Herbst zugeht, seht ihr mich vielleicht mit gelber Warnweste. Ganz nach dem Motto: Wenn ich schon nicht sicher bin, will ich mich wenigstens so fühlen. Oder so…

Das Spiel des Lebens?

– eine Erinnerung von Anna Glindemann

Anna mag Bücher binden und sie gestalten, dabei isst sie am liebsten Lakritz und Rote Beete.

Verblasste, aber doch schöne Kindheitserinnerungen bewegten mich vor einigen Wochen dazu, mal wieder das Spiel des Lebens auszupacken. Ich hoffte auf mein Lieblingshaus – den Gutshof mit eigenem Garten und Froschteich – und meinen damaligen Traumjob – die Reiseleiterin. Doch schnell musste ich mir eingestehen, dass meinen Erinnerungen ein bitterer Beigeschmack hinzugefügt wurde: Kann ich mein eigenes Glück – wenn auch nur auf dem Spielbrett – über Reichtum definieren?

Das Spiel des Lebens. Mach dein Glück – Erfolg und Reichtum warten auf Dich! lautet der Titel des Brettspiels, welches in den 60er Jahren in den USA entwickelt wurde. Geprägt ist es von Visionen der autogerechten Stadt und dem American Way of Life. Das Leben beginnt hier mit der Berufswahl: Karriere oder Universität – direkt Geld verdienen oder einen Kredit aufnehmen? Pflichtereignisse, die in einer vorgegebenen Reihenfolge geschehen, leiten durch das Leben: Heiraten, Haus kaufen, Versicherungen abschließen, Kinder bekommen und gemächlich in den Ruhestand fahren – der Spielstein ist ein Auto mit sechs Sitzen. Die Spielenden ziehen Runden durch ihr Leben und freuen sich an Ereignissen, die Geldregen und Status bescheren. Das Ziel des Spieles: Die Einkehr in den wohlverdienten Ruhestand, in einer Traumvilla mit möglichst großem Vermögen.

Was vermittelt dieses Spiel Kindern? Wie werden dadurch ihre Vorstellungen von einem guten Leben geprägt? Als Kind war es schön sich vorzustellen, was ich einmal arbeite, wo ich einmal wohne – aber ist das Ziel des Lebens wirklich Reichtum und Erfolg? In diesem Spiel wird Glück mit materiellem Wohlstand gleichgesetzt.

Heute habe ich eine andere Perspektive, und stelle die wesentlichen Parameter des Spiels in Frage. Ich frage mich selbst, was mich in meinem Leben glücklich macht und wie ich für mich das Spiel des Lebens definiere und welche Abschnitte dazu gehören. Das Spiel eignet sich also auch als Anstoß zum Nachdenken und Infragestellen und bietet die Möglichkeit, mit Freunden über die eigene Definition von Glück zu diskutieren. Kindern würde ich es eher nicht in die Hand drücken.

Und zum Schluss…

Und zum Schluss unsere Frage an euch: Was habt ihr zuletzt gesehen oder gelesen, das euch die Augen geöffnet oder überrascht hat? Welche Tipps und Ideen habt ihr, um sich in der jetzigen Zeit (in den eigenen vier Wänden) zu beschäftigen und auf welche regionalen Initiativen, wie zum Beispiel Nachbarschaftshilfen oder Online-Theater seid ihr gestoßen? Wir freuen uns über eure Empfehlungen in den Kommentaren oder drüben bei Instagram (@trotzdem.mag)!

Von redaktion

Die zwölfköpfige Redaktion ist soziokratisch organisiert und immer offen für neue Gesichter! Falls du also Lust hast, deinem Talent ein Medium zu geben: Schreib uns an moin@trotzdem-mag.de

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