MDZ

Monatlicher Dreizeiler im Mai übers Erwachen, eine Anleitung zum Widersprechen und Arbeitskampf

Zusammengestellt: Anna-Katharina Demes —
Titelbild: Andrea Demes

Einmal im Monat präsentieren wir im Monatlichen Dreizeiler, was uns in letzter Zeit inspiriert oder geschockt hat. Das was augenöffnend war. Und wir sammeln für den neuen Monat das, was noch kommt: Interessante – momentan leider nur online – Veranstaltungen zu z.B. Feminismus, Nachhaltigkeit und Transformation in Schleswig-Holstein.
Diesen Monat haben sich Emely, Svenja und Laura – drei der Menschen, die für trotzdem schreiben – mit dem Erwachen, dem Widersprechen und unserer Arbeit beschäftigt und ihre Empfehlungen und Gedanken aufgeschrieben.

Auch bei uns ist alles momentan Corona bedingt ein bisschen anders und stressig, aber an dieser Stelle können wir euch verraten, dass demnächst unsere neue Ausgabe erscheint! Seid gespannt! Wir sind es und versprechen euch, dass es wieder viele unterschiedliche und spannende Artikel geben wird. 

Zeit des Erwachens von Penny Marshall

— Eine oldschool Filmempfehlung von Emely

Emely mag Tiere, Ohrringe und bunte Farben. Sie erzählt gern komische Geschichten und träumt von einem Podcast, den sie FreshFM nennen würde.

New York in den 1960er Jahren: Der etwas eigenbrödlerische Arzt Malcolm Sayer arbeitet in einer Klinik mit einer dort lebenden Gruppe Patient*innen, die als unheilbar krank gelten. Die chronische Krankheit der Patient*innen äußert sich durch eine starke Katatonie, das völlige Erstarren des Körpers und die Unfähigkeit zu Sprechen. Dr. Sayer erkennt einen Zusammenhang zwischen den vermeintlich unerklärlichen Fällen: Alle Erkrankten waren Jahrzehnte zuvor von der Encephalitis Lethargica Epidemie (auch Europäische Schlafkrankheit genannt) betroffen gewesen.
Einige von ihnen können sich reflexartig bewegen, deshalb ist Dr. Sayer überzeugt, dass alle der komatösen Patientinnen bei vollem Bewusstsein, aber in ihrem Körper gefangen sind. Mit Mühe gelingt es Sayer, die Klinik davon zu überzeugen, ein neu auf dem Markt kommendes, teures Parkinson-Medikament auszuprobieren. Der Versuch ist erfolgreich und die Patientinnen wachen aus ihrem teilweise 30 Jahre andauernden “Schlaf” auf. Mehr verrate ich an dieser Stelle nicht

Trotz einer großzügigen Portion Arzt-Serien Kitsch, die sich um den Kern der Geschichte rankt, hat mich der Film ziemlich doll berührt und ganz viele Impulse für mich gehabt. Ich habe besonders darüber nachgedacht, wie wir als Gesellschaft mit den Verletzlichsten unter uns umgehen. Und darüber, wie wichtig es ist, die Würde von pflegebedürftigen Menschen aufrecht zu erhalten. Aber auch das Erwachen der Betroffenen hält den Zuschauer*innen einen Spiegel vor, denn sie sehen die Welt mit ganz anderen Augen. Dabei sind nicht alle Entdeckungen, die sie machen schön, manche auch sehr bitter.

Fast unglaublich: Dieses Filmdrama erzählt eine wahre Geschichte auf Basis der Erlebnisse des britischen Neurologen Oliver Sacks in den 1960er Jahren im Montefiore Medical Center in der New York. Ich persönlich hatte noch nie zuvor von Encephalitis gehört, geschweige denn davon, dass es, zwischen 1915 und 1927, eine richtige Welle gab, bei der tausende Menschen erkrankten und viele verstarben. 

Der Film ist von 1990 und irgendwie gut gealtert. Er lebt natürlich auch durch Robin Williams und Robert De Niro in den Hauptrollen. Wer in Zeiten von Corona noch (oder gerade deswegen) Kapazität für einen melancholischen Film mit medizinischem Thema hat, dem kann ich Zeit des Erwachens sehr empfehlen. 

Aktuell kann man den Film kostenpflichtig bei einigen Anbietern streamen / leihen, aber er scheint öfter auch im Fernsehen von verschiedenen Sendern gezeigt zu werden, zuletzt z.B. im April von 3sat.

Anleitung zum Widerspruch von Franzi von Kempis

— Eine Buchempfehlung von Svenja

Durch Zufall ist mir im letzten Monat  das Buch Anleitung zum Widerspruch der Journalistin Franzi von Kempis in die Hände gefallen. Der Untertitel – Klare Antworten auf populistische Parolen, Vorurteile und Verschwörungstheorien – beschreibt, was sich die Autorin mit ihrem Buch vorgenommen hat: Auf knapp 250 Seiten werden Aussagen aus sechs Themenfeldern auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Faktengrundlage geprüft – Klimawandelleugnung, Antisemitismus, Verschwörungstheorien, Islamfeindlichkeit, Hetze gegen Geflüchtete sowie Sexismus. Das Buch liefert dabei nicht nur eine Einordnung bzw. Widerlegung von verbreiteten Statements, sondern auch Ansatzpunkte, wie wir souverän und deutlich darauf reagieren können.

© Svenja
Svenja mag Bibliotheken und Sonnenblumen. Sie schreibt gerne, da sie selber am Lesen schätzt neue Perspektiven kennen zu lernen und Dinge aus anderen Lebenswelten erfahren zu können

Die Autorin geht davon aus, dass wir das Widersprechen, genauso wie unsere anderen Fähigkeiten, trainieren müssen. In ihrem TedxTalk erzählt sie, dass sie sich früher solche kleinen Anleitungen für Gegenrede in einem Notizbuch aufgeschrieben hat, um in Konfliktmomenten nicht aus Unsicherheit zu schweigen, sondern über genug Wissen zu verfügen, um widersprechen zu können.

Dieses Vorgehen spiegelt sich übrigens auch im Aufbau des Buches wider: So gibt es etwa eine Antwort auf die Fragen „Wie reagiert man auf verschwörungstheoretische Inhalte?“, „Wie reagiert man, wenn jemand den Klimawandel als etwas Positives sieht?“ und „Was kann man antworten, wenn Menschen sich auf „naturgegebene“ Unterschiede zwischen Mann und Frau berufen?“.  Durch die Struktur und die hohe Informationsdichte lässt sich das Buch zwar nicht so leicht in einem Zug von vorne bis hinten durchlesen, dafür sind die einzelnen Abschnitte meist nur wenige Seiten lang und laden zum häppchenweisen Stöbern ein.

Als Leserin habe ich übrigens gleich zwei Dinge gelernt: Zum einen habe ich besser verstanden, wie wir zum Beispiel Impfgegner*innen oder Antisemit*innen inhaltlich widersprechen können. Zum anderen ist mir beim Lesen bewusst geworden, dass die angewendeten Argumentationsstrategien von Populist*innen, über die Grenzen der verschiedenen Themenbereiche hinweg, durchaus Ähnlichkeiten aufweisen. Das letzte Wort lasse ich gerne der Autorin selbst, die uns eine kleine Erinnerung mit auf den Weg gibt: „Widerspruch ist kein Kampf!“

Franzi von Kempis, Anleitung zum Widerspruch, Mosaik Verlag, 2019, ISBN: 978-3-442-39355-8.

Ich nehm den Kapitalismus wieder an die Leine!

— Ein Denkanstoß von Laura

Wenn Laura nicht gerade für trotzdem schreibt oder illustriert, findet man sie beim Bouldern oder Schrauben in der Boulderhalle in Flensburg.

Mitten in der Krise liegt der 1.Mai –Tag der Arbeit, der Arbeiter*innenbewegung oder auch internationaler Kampftag der Arbeiter*innenklasse. Und, ironischerweise, können wir jetzt, da die Weltwirtschaft in einer der heftigsten Krisen der Geschichte steckt und die Arbeitslosenzahlen steigen, nicht auf die Straße gehen und gegen die sich ständig reproduzierende Ungerechtigkeit des Kapitalismus protestieren. 

Dabei ist jetzt die richtige Zeit neu zu bewerten, was als Arbeit gilt, Arbeitszeiten zu verhandeln, faire Tarife zu erstreiten und als Gesellschaft darüber zu diskutieren, wie wir künftig resistenter gegen globale Krisen werden – denn ich bin mir sicher: Die Pandemie kriegen wir in den Griff, aber der Klimawandel* sitzt nicht entspannt auf dem Sofa und trinkt Tee, sondern sorgt für hochsommerliche Trockenheit in Schleswig-Holstein, genauso wie im Rest Deutschlands.

dw
Publikation (Industrial Worker (IWW)), die für die Organisation der Arbeiter wirbt und deutliche Kritik an der kapitalistisch-strukturierten Gesellschaft übt. Aus dem Jahr 1911. Basierend auf dem Flugblatt der Union Russischer Sozialisten (verteilt 1900 und 1901).

Wir haben die Kontrolle verloren, Leute. 

Es wird Zeit, uns das einzugestehen und den Kapitalismus wieder an die Leine zu nehmen. Und das können wir nicht dem politisch rechten Spektrum überlassen. Aber woran sollen wir uns orientieren? Es gibt da einige Vorschläge, die es sich anzuschauen lohnt: How about Postwachstum? How about Gemeinwohlökonomie? How about 20 Stunden Woche? How about Grundeinkommen

Ich sage nicht “Hier, das ist das Sahnebonbon, das deinen multiplen Knochenbruch heilt”, aber du hast dir wahrscheinlich eh schon gedacht, dass solche Konzepte nicht ohne gesellschaftliche Konflikte in Gang zu bringen sind. 

Wenn du kannst, nimm dir auch nach dem 1.Mai Zeit dazu, dich mit alternativen Arbeitsmodellen und Wirtschaftsformen zu beschäftigen. Lies Artikel und Interviews dazu, schau dir Dokumentationen an und sprich mit deinem Umfeld darüber. Frage dich und andere: Was möchte ich nach der Pandemie nicht wieder mit in mein Arbeitsleben nehmen? Was aber kann auch genau so bleiben? Ist meine Arbeit sinnstiftend? Und: Gibt es Menschen, die ähnliche Gedanken haben wie ich – können wir uns zusammentun?

In diesem Sinne, Proletarier*innen Schleswig-Holsteins vereinigt euch!

Disclaimer: Ich bin durch die Coronavirus-Pandemie arbeitslos geworden, kann aber mit Ersparnissen über die drei Monate kommen und bin in der privilegierten Position ab Juni einen sicheren Arbeitsplatz zu haben.

Und zum Schluss:

Und zum Schluss unsere Frage an euch: Was habt ihr zuletzt gesehen oder gelesen, das euch die Augen geöffnet oder überrascht hat. Wir freuen uns über eure Empfehlungen in den Kommentaren oder drüben bei Instagram (@trotzdem.mag)!”

Von redaktion

Die zwölfköpfige Redaktion ist soziokratisch organisiert und immer offen für neue Gesichter! Falls du also Lust hast, deinem Talent ein Medium zu geben: Schreib uns an moin@trotzdem-mag.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert