trotzdem

Ode an die Körpersprache

Text & Bilder: Emely Pieper

Für meinen Artikel beschließe ich Menschen zu fragen, ob und wie sie in ihrem Alltag trotzen. Völlig unerwartet geben mir die ersten beiden Frauen, mit denen ich spreche, unabhängig voneinander Antworten, in denen der eigene Körper im Mittelpunkt steht. Das ist kein Zufall, denn es stimmt natürlich:  

Widerstand, Protest und Körper hängen zusammen. Durch den Körper wird geistiger Widerstand und Protest erst sichtbar. Ich brauche ihn, um meine Gefühle und Gedanken auszudrücken, ob durch Sprechen oder Demonstrieren.
Körper sind politisch und werden politisiert: Nicht-weiße Körper beispielsweise erfahren rassistisch motivierte Gewalt. Gebärfähige Körper werden bei dem Thema ,Schwangerschaftsabbruch’ für parteipolitische Zwecke genutzt. Die materielle Ebene von Konflikten zeigt sich mit und an menschlichen Körpern. Das können innere Konflikte sein, gesellschaftliche Konflikte oder Kriege. Bei diesen geht es, trotz modernster Waffentechnik, am Ende darum, welche Seite körperlich unversehrter bleibt.
Mit dem Körper kann aktiv getrotzt werden, und er selbst trotzt äußeren Einflüssen. 

Das Verhältnis zwischen mir und meinem Körper ist manchmal wie das zwischen Eltern und Teenagern. Ich erwarte viel von ihm, er macht nicht immer das, was ich sage und er treibt mich in den Wahnsinn. Trotzdem freue ich mich, dass er da ist. Ich finde ihn absolut liebenswert, mit all seinen Makeln, und bin dankbar, dass er gesund ist. Mein Körper und ich – wir trotzen gemeinsam einer vielfältigen Reihe von Dingen: Wir stellen uns dem nordisch-nasskalten Winterwetter. Wir leisten Widerstand, wenn wir für unsere reproduktiven Rechte und fürs Klima protestieren gehen. Und wir trotzen dem weiblichen Schönheitsideal. Wir sind dick, ohne uns beunruhigen zu lassen. 

Aber zurück zu meinen Gesprächspartnerinnen: Mena erzählte mir, dass sie schon immer eine der wenigen Dunkelhäutigen in ihrem direkten Umfeld gewesen ist und sie, auch durch die Medien, meistens mit einem westlich-weißen Schönheitsideal konfrontiert wurde.

„Das hat auch etwas gemacht mit mir in meiner Jugend“, berichtet sie. „Ich habe dann aber im Laufe meines Lebens festgestellt, dass ich mich trotzdem – wenn man mir jetzt die Chance gäbe – nicht verändern wollen würde. Also ich wär nicht gerne plötzlich 1,75 cm groß wie ein Model, oder ich wäre nicht lieber hellhäutig und blond.“ Sie spricht über ihre Erfahrungen mit Rassismus und davon, dass das tägliche Trotzen für sie eigentlich schon damit anfängt, dass sie rausgeht und freundlich zu allen ist: „So setze ich mich mit meinem Aussehen, mit meinem Körper und einfach mit meiner allgemeinen Präsenz in der Außenwelt dieser westlichen Wertvorstellung entgegen und sage: Ich bin trotzdem hier und ich bin gerne hier.“ Meine zweite Gesprächspartnerin beantwortet meine Frage knackig in einem Satz. Auch Jana trotzt der gesellschaftlichen Norm, die vorgibt, dass weibliche Körper dann schön sind, wenn sie an bestimmten Stellen unbehaart sind. 

Mich berühren die Gespräche: Wenn du trotzt, dann ist das was Aktives, dazu braucht es Kraft. Wir müssen richtig Kraft aufwenden, um einfach nur für körperliche Selbstbestimmung einzutreten. Und dafür, uns dabei trotz allem so gut zu finden, wie wir sind. Was passiert eigentlich, wenn wir die Kapazität für diese Kraft nicht haben?   

Als nächstes sprechen wir über körperlichen Widerstand. Jana berichtet, dass sie ihren Körper nutzt, um sich im Alltag bewusst Räume zu nehmen: „Anstatt mich klein zu machen, benutze ich meinen Körper, um meinen Raum, der mir zusteht, einzufordern. Beim Fahrradfahren beispielsweise nehme ich aktiv mehr Platz ein, als ich unbedingt brauche, um Autos hinter mir zu halten, anstatt dass sie mich schneiden und überholen. Besonders aber auch, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir wenig bis schlechte Fahrradwege in Flensburg haben.“ So protestiert sie mit ihrem Körper im Alltag. Bei größeren Aktionen lassen viele Aktivist*innen gemeinsam ihre Körper sprechen, z.B. bei den Protest-Choreographien gegen sexuelle Gewalt in Chile Anfang Dezember. „Vielleicht trotze ich auch mit meiner Stimme, mein Lachen ist schon ziemlich laut und dominant. Und da bekomme ich viele irritierte Blicke“, fügt Jana noch hinzu und lacht. Ich finde ihr Lachen super. 

Mena wird sehr deutlich: „Das ist so etwas wie mein persönliches trotzdem – dass ich einfach so in-your-face freundlich zu jedem bin. Weil ich mir einfach denke: Fuck you. Selbst wenn ihr mich hier nicht haben wollt – ich finde, jeder Mensch ist gleich viel wert und jeder Mensch sollte sich lieben, so wie er oder sie ist.” Ja, verdammt, denke ich.

Mena beschreibt aber auch noch eine ganz andere Perspektive auf körperlichen Widerstand, die mir auf jeden Fall so vorher noch nie in den Sinn gekommen ist: Der Widerstand, den dein Körper dir selbst entgegenbringt, als Reaktion auf dein Verhalten, Stress oder Aufregung. Es ist wichtig auf den Körper zu hören und auf seinen Protest, der sich durch Übelkeit, Herzklopfen und andere Symptome äußert, „weil der Körper einfach sagt: Hier ist Schluss. Du mutest dir gerade zu viel zu. Das ist ein klares Zeichen, mit dem der Körper uns sagt, hier ist eine Grenze und die überschreitest du gerade.“ Und sie hat absolut Recht! Mein Körper spricht quasi täglich mit mir, aber wie selten höre ich zu. Das fängt schon beim Essen an. „Die Lebensmittelindustrie suggeriert uns immer, was wir vermeintlich essen wollen, was gesund und gut für uns ist. Dabei reagiert mein Körper von sich aus auf meine Ernährung. Er wehrt sich gegen schlechtes Essen mit Unwohlsein. Dem Kapitalismus geht es nicht um unser körperliches oder psychisches Wohlbefinden, sondern um Profit und deshalb verkauft er uns auch Dinge, die schlecht für uns sind“, fährt Mena fort. 

Die schwarze Feministin Audre Lorde schrieb in ihrem Buch A Burst of Light:

„Caring for myself is not self-indulgence. It is self-preservation and that is an act of political warfare.“

Audre Lorde – A Burst of Light

Lorde definierte self-care als eine radikale, politische Praxis. Es ist schade, dass diese Idee heute selten dahintersteckt, wenn der Begriff in den Sozialen Medien hoch und runter gepostet  wird. Für dich und deinen Körper zu sorgen, ist eine Form von Widerstand in einer Gesellschaft, die dir und deiner Lebensweise oder Identität feindlich gegenübersteht.

Deshalb – lasst uns 2020 noch mehr mit unserem Körper sprechen, für uns selbst und für andere! Und möge unsere Körpersprache dabei mal laut, mal leise, aber stets selbstbewusst und einfühlsam sein. Und unzensiert bleiben!

Mena und Jana sind Freundinnen von mir. Ich danke ihnen beiden sehr für ihr Vertrauen, ihre Offenheit und das tolle Gespräch. Es war mir eine Symphonie.
Viele Perspektiven, die gerade in Bezug auf Widerstand, Protest und Körper, nicht nur spannend sondern auch höchst relevant wären, kommen in diesem Artikel leider nicht vor. Ich würde mich deshalb freuen mit noch mehr Menschen zu diesem Thema z.B. in den Kommentaren oder in einem späteren Artikel, in den Dialog zu kommen.

Von emely

Emely mag Tiere, Ohrringe und bunte Farben. Sie erzählt gern komische Geschichten und träumt von einem Podcast, den sie FreshFM nennen würde. Da sie Internationales Management studiert hat, schreibt sie neben Feminismus auch gern über (Postwachstums-) Ökonomie und Außenpolitik. Das Beste an Schleswig-Holstein ist die nordische Entschleunigung, findet sie.

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