zukunftsgestalten

Autogerechte Stadt ist so 70er! – Flensburg braucht die Mobilitätswende

Text: Knud – Bild: Laura Klein

Die Bevölkerungszahlen der deutschen Städte wachsen stetig: Wohnraum wird knapp und teuer, der Platz in der Stadt ist begrenzt. Steigende Bevölkerungszahlen bedeuten mehr Autos in der Stadt. Verstärkt wird das Ganze noch durch Tourist*innen und Lieferdienste. Mittlerweile liegt die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Autos in der Stadt bei nur 20 km/h. Die Städte sind verstopft.

Knud ist leidenschaftlicher Fahrradfahrer, aber auch Flensburger. Er ärgert sich schon seit Jahren über die fahrradunfreundliche Mobilitätspolitik der Stadt und sitzt deshalb jetzt auch für den Asta der Europa Uni im Arbeitskreis Masterplan Mobilität der Stadt. Im Januar 2019 hat er im Rahmen der Konferenz zukunft(s)gestalten einen Vortrag zur Mobilitätswende in Flensburg gehalten, den es hier bei trotzdem in überarbeiteter Form zu lesen gibt.

Die Probleme des motorisierten Individualverkehrs – so der Fachbegriff – sind vielfältig: ein hoher Bedarf nicht nachwachsender Rohstoffe, C02-Emissionen, Gefahr durch Unfälle, Stress durch Lärm, die Gefährdung schwächerer Verkehrsteilnehmer und ein sehr großer Flächenverbrauch. In der Stadt München nehmen alleine die Parkplätze 12% der Stadtfläche ein, alle Verkehrswege zusammen sogar 25%.

Warum kaufen die Leute trotzdem noch Autos?

Das Auto ist noch immer das häufigste Verkehrsmittel – in Flensburg wird über die Hälfte aller Wege mit dem Auto zurückgelegt – und zugleich die unsozialste Form der Mobilität. Nicht nur, dass die Autos immer größer werden, nein, es sitzt auch häufig nur eine Person im 8-Sitzer-Bus oder im SUV. Gleichzeitig sind die zurückgelegten Strecken in der Stadt zumeist nicht länger als zwei Kilometer, 94% der Zeit steht das Auto  auf einem Parkplatz. Total irrsinnig.

Parken kostet nicht nur Geld, sondern auch Fläche: In München sind das 12% der gesamten Stadtfläche.

Zugleich sinken die Anschaffungs- und Unterhaltskosten von Autos kontinuierlich. Die Straße wird dem Bau der Schiene vorgezogen. Städte werden so gebaut, dass das Einkaufen ohne Auto kaum möglich ist, weil die Lebensmittelgeschäfte am Stadtrand und nicht im Wohnquartier liegen, dafür mit ausreichend großen Parkflächen davor. Zwischen 1982 und 2002 wurde der Weg zum Einkaufen in Deutschland um 50% länger, der Weg zur Arbeit sogar um 55%. Beispielhaft dafür: Der Flensburger Förde Park oder der Citti Park, welche weit ausserhalb des Zentrums liegen. Oder die neue Einkaufsmöglichkeit an der Ecke Werftstraße/Gasstraße, wo es maximal eine Handvoll Fahrradbügel gibt. Tante Emma Läden wie einst am Sandberg, ohne gesonderte Parkplätze, findet man gar nicht mehr

Durch den massiven Ausbau der Autoinfrastruktur wurden circa 15-20% des gesamten Verkehrswachstum generiert. Der sogenannte Rebound Effekt ist hier deutlich zu sehen – eine neue Straße bedeutet anfangs einen besseren Verkehrsfluss. Durch die verbesserte Verkehrslage fahren aber auch mehr Menschen Auto – wodurch der Verkehr bald wieder zäher fließt. Es werden neue Straßen gebaut, wodurch das Autofahren wieder leichter wird, bis…  Die Osttangente, welche 2006 fertig gestellt wurde und den Verkehr der Innenstadt nicht zufriedenstellend entlasten konnte, ist ein Paradebeispiel dieses Rebound Effektes.
Dasselbe gilt übrigens für den Schienenverkehr – würde man diesen ausbauen und attraktiver gestalten, würden mehr Menschen diesen nutzen. Nur passiert das leider nicht. Stattdessen verstärken steuerliche Anreize, wie die Pendlerpauschale oder die Subventionierung von Diesel die Nutzung des Autos zusätzlich. 

Mitten in der Innenstadt, am stillgelegten Bahngleis, breitet sich eine sechs-spurige Straße selbstverständlich aus.

Dass die Flensburger Straßenbahn 1973 stillgelegt und durch Dieselbusse ersetzt wurde, passt fast schon zu gut in dieses Bild, auch wenn man fairerweise sagen muss, dass eine der einstigen Bahnlinien nun den einzig autofreien Raum der Stadt bilden – die Einkaufsstraße.
Es gibt in Deutschland eine strukturelle Bevorzugung des Autos durch bauliche Maßnahmen und steuerliche sowie rechtliche Vorteile, welche aus den 1960er und 1970er Jahren stammen. Anders gesagt: Alles was in den letzten vierzig, fünfzig Jahren städtebaulich errichtet wurde, ist für das Auto gebaut. 
Was wir aber eigentlich brauchen, ist eine Stadt, in der der Mensch (im wahrsten Sinne des Wortes) im Zentrum steht und nicht das Auto. Wir brauchen einen nachhaltige, suffiziente Mobilitätswende, um das städtische Wachstum für alle lebenswert zu gestalten.

Suffizienz, eine Nachhaltigkeitsstrategie, die oft vergessen wird, hat einen verringerten Ressourcenverbrauch durch Verhaltensänderungen der Menschen zum Ziel.

Es reicht nicht aus, wenn sich Einzelne eingestehen, dass sich was ändern muss. Es müssen Strukturen geschaffen werden, die eine andere Mobilität überhaupt ermöglichen. Der gestaltende Staat, das Land oder die Kommune sind die Akteure, die Rahmenbedingungen schaffen müssen, um das Autofahren unattraktiver zu machen und um die Alternativen gleichzeitig zu verbessern.
Zumeist wird allerdings auf eine andere Strategie gesetzt: Effizienz soll durch technologische Innovationen erreicht werden. Der Ausstoß von Emissionen kann natürlich durchaus auch durch alternative Antriebstechnik verringert werden. Allerdings ist die Elektromobilität letztendlich nur eine Problemverschiebung von der Erdöl- zur Lithiumknappheit. Es ist schonmal ein guter Anfang Busse, Taxis oder Lieferfahrzeuge mit Elektromotoren auszustatten, um diese Emissionen zu verringern. Dabei kann es allerdings nicht bleiben, wir brauchen weniger Autos. Denn dass täglich bis zu 26.000 (!) Fahrzeuge durch Flensburgs Innenstadt fahren, kann schlichtweg nicht angehen.

Zurück also zu möglichen Strategien, die ein suffizientes Verhalten für die Stadtbewohner*innen ermöglichen: Niederschwellige Ansätze sind Tempolimits. Durch das einfache Aufstellen von Schildern und Blitzern kann die Gefahr durch Autos deutlich verringert und Emissionen beschränkt werden. Letztendlich ist die CO2-Einsparung aber auch hier vom einzelnen Autofahrenden abhängig, denn Fahrstil und Autotyp entscheiden über den Ausstoß mit. Interessant an dem Ansatz ist jedoch, dass der Verkehr durch die verringerte Geschwindigkeit flüssiger läuft und sich im Prinzip positiv auf das Autofahren auswirkt. Dennoch ist es in vielen Teilen Deutschlands schwierig oder unmöglich, eine Geschwindigkeitsbegrenzung einzuführen, wie man an den aggressiven Diskursen um das Thema herum ablesen kann. 

Das Wohnmobil ist wohl eins der prominentesten Symbole der Freiheit durch Autofahren.

Die Autolobby ist stark – und damit meine ich nicht die Hersteller, sondern die, für die das Auto Freiheit bedeutet.

Autofahrende wollen gar nicht langsamer fahren oder Rücksicht nehmen, sie wollen keine Privilegien abgeben oder teilen. Autofahren verspricht schließlich noch immer Freiheit und Unabhängigkeit.

Frei nach dem Motto des ADAC von 1957: Freie Fahrt für freie Bürger! Auch wenn man am Hafen im Stau steht. Vielleicht muss man solche Vorschläge einfach positiv umbenennen, Fahrflussvergnügungsoptimierung oder so.

Die beste Möglichkeit, Emissionen zu vermeiden wäre, einfach keine zu produzieren. Alle menschengemachten Emissionen aufzugeben ist natürlich utopisch. Verbrennungsmotoren sind ja auch nicht per se zu verteufeln, sondern nur in der maßlosen Nutzung, wie sie in unserer Gesellschaft stattfindet.

Das Fahrrad, zum Beispiel, ist eine tolle Möglichkeit zur besseren Fortbewegung in der Stadt. Wir leben jedoch in einer Stadt für Autos: in Flensburg sind Radwege wenn überhaupt am Rande der Straßen zu finden. Manchmal gibt es auch einfach keine, selbst bei Straßeninstandhaltungen wie etwa der Westerallee – wer braucht da schon ‘nen Radweg?
In dieser örtlichen Zuweisung wird die Rolle des Radfahrenden verdeutlicht: Er oder sie ist ein Störfaktor, ein geduldetes Übel. Das muss sich zwingend ändern.

Stünden die Mülleimer auf der Autostraße, wäre binnen Minuten die Polizei alarmiert.

Es muss ein Wegenetz her, das Radfahrende in den Mittelpunkt stellt und ihnen mehr Rechte zukommen lässt. Die Elemente, die dazu dienen können, sind vielfältig: Vom Belag des Weges über dessen Kennzeichnung, bis zum Verlauf einer solchen Veloroute – Fahrradfahrende nehmen Wege und Entfernungen anders wahr als Autofahrende. Radwege müssen ausgebaut und klar gekennzeichnet werden, so dass Radfahrende im Verkehr auch wahrgenommen werden und man sich nicht nur auf dem Rad sicher fühlt, sondern es auch wirklich ist. Die ewigen Bordsteinabsenkungen nerven ebenfalls endlos. Warum nicht auf einer Höhe mit dem Straßenbelag? Warum werden Straßen renoviert, Radwege aber nicht?


Gleichzeitig werden Fahrräder immer teurer und hochwertiger, was sichere Infrastruktur für das Abstellen von Rädern nötig macht – egal ob am ZOB oder vorm Discounter. Platz ist ausreichend vorhanden, nur Autoparkplätze müssten gestrichen werden. 

Neben den Fahrrädern sind Sharing-Angebote eine gute Alternative, welche den Besitz eines eigenen Autos langfristig obsolet machen können. Wenn sich beispielsweise zehn Menschen (oder mehr) ein Auto teilen, dann sind insgesamt weniger auf Straßen und Parkplätzen. In letzter Zeit finden sich in größeren Städten häufiger elektrische Roller als Sharing-Angebot, ebenfalls eine tolle Möglichkeit – auch für Flensburgs Topografie?

Direkt neben dem Flensburger Rathaus — gut mit dem Fahrrad zu erreichen — gibt es eine der zahlreichen Cambio Carsharing Stationen.

Straßen für den Verkehr zu schließen, diese zu Einbahnstraßen umzugestalten oder sogar zu Fahrradstraßen umzubauen, macht das Radfahren schöner. Das wurde in der Viktoriastraße gemacht, nur ist die leider an keinen Radweg angebunden, Autos dürfen dort weiterhin parken, und Anlieger sind frei – aber wer hat denn kein Anliegen?

Die meiste Energie fließt in die Überzeugungsarbeit im öffentlichen Diskurs.

Das macht eines der Grundprobleme der Mobilitätsplanung deutlich: Vermeintlich niedrigschwellige Alternativen, die baulich leicht umzusetzen wären, werden blockiert, weil hierbei den Autofahrenden etwas „weggenommen” wird – nämlich das Recht auf die Straße, das sie für sich beanspruchen. Ihre Freiheit quasi. Vollsperrungen über Monate wie beim Neubau der Westtangente sind dagegen “notwendig” und deswegen akzeptiert. 
Letztlich ist die beste Handlungsoption immer, Verkehr zu vermeiden. Das ist aber zugleich auch der schwierigste Ansatz, denn dafür müssen Siedlungsstrukturen geändert werden, sodass eine Stadt der kurzen Wege entstehen kann: Einkaufsmöglichkeiten im Quartier, Ärzt*innen vor Ort, Arbeit um die Ecke, Schulen und Kindergärten ebenso.

Radwege wie dieser, entlang der Exe in Flensburg, sind selten und auch nur ein Teil der Strecke ist so schön, wie hier auf dem Foto zu sehen. Da geht noch was, Flensburg!

Das sind einige Vorschläge, bei weitem nicht alle, die unterschiedlichste Hürden mit sich bringen und auch von den örtlichen Gegebenheiten und Diskursen abhängen. In Flensburg ist es der Masterplan Mobilität, der einige Ideen hervorbringt und den Stein langsam ins Rollen bringt. Es gibt viel zu tun, aber die autogerechte Stadt wurde ja auch nicht an einem Tag gebaut!

Von redaktion

Die zwölfköpfige Redaktion ist soziokratisch organisiert und immer offen für neue Gesichter! Falls du also Lust hast, deinem Talent ein Medium zu geben: Schreib uns an moin@trotzdem-mag.de

2 Antworten auf „Autogerechte Stadt ist so 70er! – Flensburg braucht die Mobilitätswende“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert